Start Verbraucherschutz Keine weitere Förderung einer Hörgeschädigten für eine zweite Ausbildung (NI)

Keine weitere Förderung einer Hörgeschädigten für eine zweite Ausbildung (NI)

211

Die Bundesagentur für Arbeit ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die bestmögliche Ausbildung zu finanzieren, sondern nur eine zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt notwendige Ausbildung.

Deshalb hat es das Sozialgericht Osnabrück in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren abgelehnt, die Bundesagentur vorläufig zur Kostenübernahme für eine (zweite) Ausbildung einer erheblich hörgeschädigten Antragstellerin zur Erzieherin zu verpflichten (Aktenzeichen S 43 AL 68/19 ER).

Die im Jahr 2000 geborene Antragstellerin trägt auf der einen Seite ein Hörgerät und ist auf dem anderen Ohr mit einem Cochleaimplantat versorgt. Bei ihr sind ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen H (für hilflos), GL (für gehörlos) und RF (für eine Befreiung von Rundfunkgebühren) festgestellt. Die Antragstellerin besuchte bis Sommer 2017 eine Schule für Hörgeschädigte.

In einem im Jahr 2016 erstatteten psychologischen Gutachten wird über die Antragstellerin ausgeführt, dass sie in einer sehr ruhigen Umgebung in der Lage sei, das gesprochene Wort zu verstehen. Sie greife auf Lippenlesen zurück und nutze unterstützende Gesten. Eine Überprüfung der kognitiven Fähigkeiten ergab ein allgemeines intellektuelles Leistungsvermögen leicht unter dem Durchschnitt der Hauptschulnorm. Die Antragstellerin wurde als sehr freundlich, zugewandt und aufmerksam beschrieben. Eine Berufsausbildung komme auf einem eher einfachen Niveau infrage. Die Testergebnisse seien im Grenzbereich zur Lernbehinderung anzusehen, sodass eine kontinuierliche Unterstützung bei der Ausbildung erforderlich sei.

Im Anschluss an die Schule schloss die Antragstellerin eine zweijährige, von der Bundesagentur für Arbeit geförderte Ausbildung zur staatlich anerkannten sozialpädagogischen Assistentin mit der Durchschnittsnote 2,6 ab. In einer Stellungnahme führte die Klassenleiterin der Antragstellerin aus, dass diese über alle Voraussetzungen verfüge, den Beruf der Erzieherin in einem hörgeschädigtengerechten Umfeld im Rehabilitationsrahmen zu erlernen. Die Motivation und Qualität der Arbeit der Antragstellerin wurden positiv hervorgehoben.

Die im April 2019 bei der Bundesagentur für Arbeit beantragte Übernahme der Kosten für eine Ausbildung als Erzieherin lehnte die Bundesagentur unter Hinweis auf § 7 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) ab. Mit dem Berufsabschluss der sozialpädagogischen Assistentin sei das Förderziel erreicht. Es bestünden sehr gute Vermittlungschancen für eine Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt. Es bestehe keine Notwendigkeit einer weiteren Förderung. Darüber hinaus bestehe die Gefahr einer Überforderung der Antragstellerin.

Nachdem der Widerspruch der Antragstellerin erfolglos geblieben ist, hat sich diese mit Klage und einstweiligem Rechtsschutzersuchen an das Sozialgericht Osnabrück gewandt.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 26.07.2019 entschieden, dass die Ablehnung der weiteren Förderung der Antragstellerin rechtmäßig ist. Dabei ist ausdrücklich offengelassen worden, ob die Ausübung des Berufs der Erzieherin mit den bei der Antragstellerin unstreitig gegebenen Einschränkungen überhaupt möglich ist. Es bestünden insoweit gewisse Zweifel, welche aber im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht aufgeklärt werden könnten. Jedenfalls hat das Gericht aber eine sog. arbeitsmarktliche Notwendigkeit als nicht glaubhaft gemacht angesehen. Die Antragstellerin hat allein einen Anspruch darauf, dass ihr durch die Bundesagentur für Arbeit die zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt notwendige Ausbildung, nicht jedoch die bestmögliche gewährt wird. Die Antragstellerin ist mit dem von ihr bislang erlernten Beruf auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelbar.

Das Gericht hat in seine Betrachtungen auch die UN-Behindertenrechtskonvention einbezogen. Das Recht auf einen diskriminierungsfreien Zugang zu einer anderweitigen als der aktuell ausgeübten Tätigkeit ist jedoch gewahrt, da auch ohne die Behinderung der Antragstellerin eine Zweitausbildung von der arbeitsmarktlichen Notwendigkeit abhängen würde. Eine solche besteht aber vorliegend gerade nicht.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Sie ist mit der Beschwerde zum Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen angegriffen worden (Aktenzeichen: L 11 AL 70/19 B).

Hinweis zur Rechtslage:

  • 7 SGB III

Bei der Auswahl von Ermessensleistungen der aktiven Arbeitsförderung hat die Agentur für Arbeit unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit die für den Einzelfall am besten geeignete Leistung oder Kombination von Leistungen zu wählen. Dabei ist grundsätzlich auf

  1. die Fähigkeiten der zu fördernden Personen,
  2. die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes und
  3. den anhand der Ergebnisse der Beratungs- und Vermittlungsgespräche ermittelten arbeitsmarktpolitischen Handlungsbedarf

abzustellen.

Vorheriger ArtikelFinanzverwaltung nimmt am Qualitätsmanagement der Initiative „Neue Qualität der Arbeit“ (INQA) teil (HE)
Nächster ArtikelHochwasserschutz: 1 Milliarde Euro seit 2002 investiert (ST)