10-Punkte-Agenda mit konjunkturpolitischen Maßnahmen vorgelegt / Exportschwäche bremst wirtschaftliche Entwicklung
Vor dem Hintergrund zunehmender Konjunktursorgen in Deutschland hat Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee von der Bundesregierung „ein klares Signal gegen die drohende Krise“ gefordert. „Konjunkturpolitik ist Aufgabe des Bundes“, so der Minister heute am Rande des „Weimarer Wirtschaftsforums“. „Wenn Wirtschaft zur Hälfte Psychologie ist, dann sollte der Bund jetzt einen klaren Fahrplan vorlegen, welche Maßnahmen er im Falle einer Rezession ergreifen will. Die Diskussionen darüber sollten wir jedenfalls nicht erst dann führen, wenn der Abschwung voll durchschlägt – das ist auch eine Lehre aus den Krisenjahren 2008/2009.“ Seine Forderung bedeute nicht, dass nun hektisch neue Konjunkturpakete geschnürt werden sollten. „Aber wir müssen Vorsorge treffen und uns auf den Ernstfall einstellen, ohne ihn herbeizureden.“ Hintergrund: Nach dem Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal rechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftforschung (DIW) in Berlin aktuell auch für das laufende dritte Quartal 2019 mit einem Konjunkturrückgang.
Natürlich könne von einer echten Krise noch längst keine Rede sein, so der Thüringer Wirtschaftsminister weiter. „Allerdings verdichten sich die Vorzeichen für eine konjunkturelle Schwächephase immer weiter. Deshalb sollten wir uns frühzeitig und verbindlich auf konkrete Instrumente verständigen, die im Fall der Fälle sofort eingesetzt werden könnten.“ Der Minister stellte eine 10-Punkte-Agenda mit potentiellen konjunkturpolitischen Maßnahmen vor, zu denen sich die Koalitionspartner im Bund zügig einigen sollten:
[Finanzen]
- „Schwarze Null“ nicht für sakrosankt erklären – im Krisenfall zusätzliche Neuverschuldung im Bundeshaushalt zulassen.
[Binnenkonjunktur]
- Den Abbau des Solidaritätszuschlags, der für 90 Prozent der Steuerzahler für 2021 geplant ist, auf 2020 vorziehen.
[Arbeitsmarkt]
- Bei den von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bereits angekündigten erleichterten Zugangsbedingungen zum Kurzarbeitergeld sollten KMU besser von den Kosten der obligatorischen Qualifizierung ihrer Mitarbeiter entlastet werden (z.B. durch Absenkung der Mindestanzahl von Weiterbildungsstunden je Mitarbeiter und die Förderung von Unternehmensverbünden).
- Beschäftigte, die in und aufgrund der Wirtschaftskrise ihren Job verlieren, sollen generell im Arbeitslosengeld-I-Bezug verbleiben können und nicht bereits nach einem Jahr in Hartz IV fallen.
[Rahmenbedingungen für Unternehmen]
- Steuer- und Abgabenmoratorium: Zusätzliche Belastungen für die Wirtschaft sollen in der momentanen Situation vollständig vermieden werden.
- Geprüft werden sollte, die Rahmenbedingungen für betriebliche Investitionen durch Wiedereinführung der degressiven Abschreibung zu verbessern.
- Steuerliche Förderung für betriebliche Forschungs- und Entwicklungsausgaben einführen: Die Bundesregierung hatte im Mai eine solche Unterstützung beschlossen, aber bisher nicht umgesetzt.
- Ein Zuschussprogramm für Investitionen von KMU in digitale Technik (analog dem Thüringer „Digitalbonus“) auflegen. Auch hier hatte die Bundesregierung ein entsprechendes Programm angekündigt, aber bisher nicht umgesetzt.
[Kommunen]
- Investitionskraft der Kommunen stärken: Die Kommunen tätigen rund die Hälfte der öffentlichen Investitionen in Deutschland. Allerdings sind sie zu fast einem Drittel überschuldet und sind deshalb als Auftraggeber nur bedingt handlungsfähig. Hier sollte über eine Entschuldung oder zumindest über befristete Möglichkeiten einer 100-Prozent-Förderung von kommunalen Investitionen nachgedacht werden.
[Infrastruktur]
- Zusätzliche Infrastrukturinvestitionen sollten insbesondere dort getätigt werden, wo sie helfen, künftigen Herausforderungen zu begegnen – denkbar ist z.B. ein Förderprogramm für die energetische Gebäudesanierung, ggfs. ergänzt um eine Abwrackprämie für alte, ineffiziente Heizungsanlagen – dann allerdings sowohl für Öl- als auch Gasheizungen.
Die Länder würden die konjunkturpolitischen Aktivitäten des Bundes selbstverständlich im Rahmen ihrer regionalen Strukturpolitik unterstützen, sagte Tiefensee weiter. Dabei sei es wichtig, insbesondere Unternehmensinvestitionen weiter auf hohem Niveau fördern zu können. So liegen in Thüringen im Förderprogramm Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) aktuell rund 150 Förderanträge mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von knapp 800 Millionen Euro und einem potentiellen Zuschussbedarf von knapp 100 Millionen Euro vor. „Diese Investitionen sollten trotz völliger Überzeichnung unseres Förderprogramms realisiert werden können. Ich setze mich deshalb dafür ein, dass Bund und Land die entsprechenden Fördermittel zur Verfügung stellen.“
Während sich die Binnenkonjunktur weiterhin stabil zeige, sieht der Thüringer Wirtschaftsminister die Ursachen der momentanen Konjunkturschwäche vor allem im Export. Dieser war beispielsweise in Thüringen im ersten Quartal 2019 um 1,4 Prozent geschrumpft. Dazu beigetragen haben insbesondere die Abschwächung der wirtschaftlichen Dynamik in China und die Unwägbarkeiten aus den Handelsstreitigkeiten zwischen China und den USA. „Unser Hauptproblem in der Außenwirtschaft ist derzeit ganz eindeutig China“, sagte Tiefensee. So sind die Thüringer Exporte in das „Reich der Mitte“ im ersten Quartal 2019 um 14,6 Prozent drastisch zurückgegangen. Dagegen trage der geplante Brexit zwar ebenfalls zur Verunsicherung der Unternehmen bei, allerdings entwickle sich der Export auf den zweitwichtigsten Absatzmarkt der Thüringer Wirtschaft nach wie vor positiv – im ersten Quartal konnte ein Anstieg der Aufuhren um 6,4 Prozent verzeichnet werden.