Ministerpräsident Bouffier: „Freiheit ist nicht selbstverständlich, wir müssen dafür eintreten – mit Worten und mit Taten.“
Die Öffnung der innerdeutschen Grenze vor 30 Jahren war ein bewegendes Ereignis mit so großer historischer Bedeutung, dass sich auch heute noch viele Menschen daran erinnern. Anlässlich des Jubiläums hat die Hessische Landesregierung heute ihre Veranstaltungsreihe „Wir leben Freiheit – 30 Jahre Mauerfall“ mit zwei Diskussionsrunden, einer Ausstellung und den kritischen Texten des Liedermachers Stephan Krawczyk an historischer Stätte in Gießen gestartet.
Die Stärke des Volkes
In der ehemaligen Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge, die ab 1950 eine der zentralen Anlaufstellen für tausende, aus der DDR geflüchtete Menschen war, sagte der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier: „Mutige Menschen im Osten Deutschlands haben die Stärke des Volkes bewiesen, die Diktatur ins Wanken gebracht und schließlich besiegt. Sie sind auf die Straße gegangen und haben sich die Freiheit erkämpft, die wir heute gemeinsam in einem wiedervereinigten Deutschland leben dürfen. In einer bewegten Zeit, in der die Gräben zwischen Ost und West wieder tiefer werden und über neue Mauern diskutiert wird, ist es wichtig, zu erkennen: Freiheit ist nicht selbstverständlich. Wir müssen auch heutzutage dafür eintreten – mit Worten und mit Taten. Daran wollen wir erinnern.“
Ministerpräsident Bouffier diskutierte mit Prof. Dr. Hubert Kleinert über das geteilte Deutschland und die damit verbundene Epoche deutscher Geschichte. Der Sozialwissenschaftler und frühere Bundestagsabgeordnete hat darüber ein Buch geschrieben, das im September 2018 erschienen ist. Warum bewegt ihn das Thema 30 Jahre nach dem Fall der Mauer? „Wer die Gegenwart richtig verstehen und die Zukunft vernünftig gestalten will, sollte die Vergangenheit kennen“, sagte Prof. Dr. Kleinert.
Der Wert der Freiheit
Über den Wert der Freiheit und ihre prägenden Erinnerungen im geteilten Deutschland berichteten die Zeitzeugen Heinz Dörr, Jutta Fleck und ihre Tochter Beate Gallus. Sie tauschten sich im von Claus Peter Müller von der Grün moderierten Gespräch mit Schülerinnen und Schülern der Gesamtschulen Gießen Ost, Busecker Tal und Ebsdorfergrund aus. Heinz Dörr, der frühere Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung hat Tage und Nächte damit verbracht, geflohene DDR-Bürger aufzunehmen und zu versorgen, die nach Gießen kamen. Der heute 91-jährige hat auch Freikäufe von DDR-Häftlingen bei Nacht und Nebel erlebt und begleitet.
Die Mauern der Diktatur
Von diesem Prozedere profitierte Jutta Fleck. Sie war im Frauengefängnis eingesperrt, nachdem sie versucht hatte, das Land zu verlassen. Bei ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik blieben beide Töchter, darunter Beate Gallus, hinter den Mauern der Diktatur zurück. Jutta Fleck, die heute das Schwerpunktprojekt Politisch-Historische Aufarbeitung der SED-Diktatur in Hessen leitet, demonstrierte wiederholt am Checkpoint, um auf das Unrecht aufmerksam zu machen. Sie wurde dadurch als „Frau vom Checkpoint Charlie“ international bekannt.
Vereinigtes Deutschland ohne schmerzhafte Teilung
„Die friedliche Revolution in der DDR und die anschließende Wiedervereinigung war ein großes Glück für unser Land und für Europa“, sagte Ministerpräsident Bouffier. Der Regierungschef betonte, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr zwischen „Ossis“ und „Wessis“ unterscheidet, sondern gemeinsam im vereinigten Deutschland angekommen seien.
Die jüngere Generation kenne es gar nicht anders, und das sei gut so. Deshalb richte sich die Veranstaltungsreihe vor allem an junge Menschen, die die Teilung Deutschlands nur als historisches Ereignis kennen. Ein als Grenzbeamter verkleideter Schauspieler kontrollierte Besucherinnen und Besucher in der Erstaufnahmeeinrichtung, um zu veranschaulichen, wie beklemmend eine solche Situation für die betroffenen Menschen gewesen ist.
„Wir dürfen die schmerzhafte Teilung unseres Landes niemals vergessen. Die Wunden, die die unmenschliche Mauer geschlagen hat, sind verheilt. Die Narben, die unser Land und seine Menschen davongetragen haben, dürfen wir aber nicht kaschieren – im Gegenteil. Wir müssen sie zeigen. Mit mehr als 120 Veranstaltungen werden wir das tun. Ich danke den mehr als 50 Partnern, die uns dabei unterstützen.“
Hintergrund
Mit der Veranstaltungsreihe „Wir leben Freiheit – 30 Jahre Mauerfall“ zu der unter anderem Zeitzeugengespräche, Vorträge und Ausstellungen gehören, wird in den kommenden Monaten in ganz Hessen an den Mauerbau, die Teilung Deutschlands und die Wiedervereinigung gedacht. Höhepunkt ist ein Bürgerfest am 9. November im früheren Grenzgebiet zwischen dem thüringischen Großburschla und dem hessischen Bahnhof Großburschla, das von den Ländern Hessen und Thüringen gemeinsam ausgerichtet wird.